Laserblitze vom Telegrafenberg in Potsdam
Wenige Orte in Deutschland haben eine wissenschaftshistorisch so bedeutende Rolle gespielt wie der Telegrafenberg in Potsdam. Über dessen Geschichte sowie über die Entwicklung der
Satelliten-Laserentfernungsmessung in den letzten 50 Jahren hielt Dr. Ludwig Grunwaldt am Donnerstag, den 13. März, im Sitzungssaal des Geodätischen Observatoriums Wettzell einen Vortrag.
Grunwald ist bei den Mitarbeitern des Observatoriums Wettzell ein „alter Bekannter“, besteht doch seit vielen Jahren eine enge Kooperation.
Die Geschichte des Telegrafenbergs beginnt 1815 mit dem Wiener Kongress nach den Napoleonischen Kriegen. Dort wurden dem Königreich Preußen große Gebiete des heutigen Deutschlands zugeschlagen,
darunter Westfalen und die Rheinprovinz. Um schnell Informationen aus den neu besetzten, teils feindlich gesinnten Gebieten in der Nähe von Frankreich zu erhalten, errichtete man eine optische
Telegrafenlinie von Koblenz bis nach Berlin. Ein optischer Telegraf bestand aus einem Mast, an dem sechs Signalarme befestigt waren, die mit Seilzügen je in vier verschiedene Stellungen gebracht
werden konnten. So konnte man mithilfe eines Codes Nachrichten an die nächste sichtbare Station übertragen. Auf diese Weise wurden Depeschen zwischen Koblenz und Berlin in wenigen Stunden
übermittelt, während Botenreiter dafür mehrere Tage unterwegs gewesen wären.
In den 1870er Jahren wurden auf dem Telegrafenberg Labore für das Astrophysikalische Observatorium Potsdam und später für das Königlich Preußische Geodätische Institut errichtet. Über Jahrzehnte
und durch verschiedene politische Systeme hinweg wurde dort Geoforschung betrieben und viele fundamentale Erkenntnisse über den Aufbau der Welt erzielt. 1881 führte der Physiker Albert Michelson
erstmals sein berühmtes Experiment durch, bei dem er erfolglos versuchte, den sogenannten „Lichtäther“ nachzuweisen. Obwohl das Experiment nicht das gewünschte Ergebnis lieferte, gilt es als
Grundlage für Einsteins Relativitätstheorie und als Meilenstein der modernen Physik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde am Potsdamer Telegrafenberg der Absolutwert der Erdschwere bestimmt, der
1909 zum internationalen Standard wurde. In den 1920er Jahren wurde zur Überprüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie eigens der „Einsteinturm“ mit einem Sonnenteleskop erbaut.
Von 1976 bis 2017 war der Physiker Ludwig Grunwaldt auf dem Telegrafenberg tätig, vor allem im Bereich der Satelliten-Laserentfernungsmessung (SLR), die damals erst zehn Jahre zuvor in den USA
entwickelt worden war. Beim SLR wird ein Laserpuls von der Erde auf einen Satelliten gesendet, wo er reflektiert und auf der Erde wieder detektiert wird. Durch die Messung der Zeit zwischen
Senden und Empfang kann die Entfernung des Satelliten mit hoher Genauigkeit bestimmt werden. Es handelt sich dabei nicht um einen einzigen Laserstrahl, sondern um viele kleine Laserscheiben, die
heute nur wenige Millimeter breit sind und von denen problemlos mehrere Tausend pro Sekunde gesendet werden. Dieses Arbeitsfeld war auch deshalb besonders spannend, da aufgrund eines
Technologieembargos gegen die DDR sämtliche Komponenten des Teleskops und des Lasers im Land selbst gebaut werden mussten. Grunwaldt war auch dabei, als die Digitalisierung Einzug hielt – auch
wenn es damals noch nicht so genannt wurde. Ab 1979 ermöglichte ein in Ungarn gefertigter programmierbarer Tischrechner mit acht Kilobyte Hauptspeicher und Datensicherung auf Tonbandkassetten den
Einpersonenbetrieb der Station.
Neben der kontinuierlichen Verbesserung der Satelliten-Entfernungsmessung begleitete Grunwaldt auch andere spannende Projekte, wie den Aufbau einer ähnlichen Messstation in Kuba in den 1980er
Jahren. Bereits der Beginn des Projekts war nervenaufreibend, als das Schiff, das den wertvollen Laser nach Santiago de Cuba bringen sollte, zeitweise als verschollen galt und erst Tage später in
einem 800 Kilometer entfernten Hafen wieder auftauchte. Von dort konnte der Laser mit dem nächstbesten Lastwagen zum Einsatzort transportiert und aufgebaut werden. Auch zahlreiche andere
Herausforderungen, wie der Aufbau eines eigenen Zeitdienstes aufgrund fehlender Atomuhren in Kuba oder Störungen beim Kalibrieren der Laser durch weidende Kühe, wurden erfolgreich
gemeistert.
Die Wendejahre waren einerseits von Unsicherheit über die Zukunft des Standorts geprägt, andererseits gab es stetige Verbesserungen und Anpassungen an den neuesten Stand der Technik. Grunwaldt
gelang es, nicht zuletzt durch zahlreiche Anekdoten, den Zuhörern einen lebendigen Überblick über die Geschichte des Telegrafenbergs und die Entwicklung der SLR im letzten halben Jahrhundert zu
vermitteln.