Was haben Radioteleskope mit Navigationssystemen zu tun? Von der Radiointerferometrie zum Satellitensignal.


Wettzell als Verbindung ins Himmelssystem
GIZ-Vortrag über die Bedeutung der Radioteleskope für die Navigation

Neben der idyllischen Kirche am Dorfplatz prägen die Silhouetten der Radioteleskope des Geodätischen Observatoriums das Erscheinungsbild des Dorfes Wettzell. Häufig finden sich Besucher und Urlauber vor dem Observatorium ein und bestaunen die ständig in Bewegung befindlichen Parabolantennen. Dabei wissen die wenigsten, dass ein Abschalten dieser Antennen einen erheblichen Einfluss auf jeden Einzelnen hätte. Würden zum Beispiel im Rahmen einer Pandemievorsorge wegen Corona über vier Wochen keine Daten mehr produziert, würden mit ziemlicher Sicherheit die Navigationsgeräte der Autos die Position nicht mehr der richtigen Straße zuordnen können. Doch was haben die großen "Schüsseln" in Wettzell mit dem Navigationsgerät im Auto zu tun, messen sie doch keine Satellitensignale, sondern weitgereiste Strahlung aus den Weiten des Universums? Darüber referierte Dr. Axel Nothnagel in seinem Vortrag "Was haben Radioteleskope mit Navigationssystemen zu tun? Von der Radiointerferometrie zum Satellitensignal" am vergangene Donnerstag im Observatorium Wettzell.

Die große Antenne mit ihren 20 Metern Durchmesser ist seit 1983 in Betrieb. In den letzten zehn Jahren gesellten sich zwei weitere Antennen mit kleinerem Durchmesser dazu. Sie alle sind Teil eines weltumspannenden Netzwerks, das vom Internationalen VLBI Service für Geodäsie und Astrometrie koordiniert wird. VLBI steht hier für "Very Long Baseline Interferometrie", was so viel heißt wie Interferometrie auf langen Basislinien. Bei diesem Verfahren beobachten weltweit verteilte Teleskope dieselbe Himmelsregion. Dort befindet sich in einer Entfernung von zwei bis zwölf Milliarden Lichtjahren ein Quasar, ein quasi-stellares Objekt. Dabei handelt es sich um einen aktiven, galaktischen Kern, bestehend aus einem Schwarzen Loch und eine dieses umkreisende Akkretionsscheibe aus eindringender Materie. Durch komplexe physikalische Prozesse ausgelöste, relativistische Jets sendet diese Objekt optisches Licht und Radiowellen aus. Dieses nach Milliarden Lichtjahren sehr "leise" Rauschen wird von den großen Antennen empfangen. Da die Sender so weit entfernt sind, kann man Quasare als himmlische "Leuchtfeuer" ohne Eigenbewegung ansehen, die ein Himmelskoordinatensystem aufspannen, mit dem man die Erde vermessen kann.

Genauer gesagt liefert die Vermessung  nicht nur die Positionen der Quasare selbst, sondern auch Erdrotationsparameter, die Koordinaten der Radioteleskope auf der Erde und die Bewegungsvektoren der Stationen aufgrund tektonischer Plattenbewegungen. Die Technik ist dabei nicht einfach. Neben rauscharmen Hochleistungsverstärkern, die auf bis zu minus 264 Grad Celsius gekühlt werden, existieren hohe Anforderungen an die Zeithaltung, Digitalisierung, Aufzeichnung und Reduktion von Störeinflüssen. So ist zum Beispiel ein Handy auf dem Mond vergleichbar mit den stärksten Quasaren im Universum. Die Teleskope messen alle 20 bis 200 Sekunden einen dieser Quasare an einer anderen Position und erreichen so, dass sie eine hohe Abdeckung des sichtbaren Himmels erfassen. In 24-Stunden werden dabei mit den kleinen Teleskopen über 1000 Positionen angefahren. Es entsteht in dieser Zeit eine Datenmenge von über 30 Terabyte, was quasi dem Speicher von 30 haushaltsüblichen Computern entspricht. Die Daten werden anschließend zu einem Korrelationszentrum gesandt. Dort steht ein Superrechner, der die Signale von den verschiedenen Teleskopen solange mathematisch verschiebt und vergleicht, bis sich das Quasarsignal in den verschiedenen Aufzeichnungen identisch überlagert. Die Verschiebung ist dann der Laufzeitunterschied der sich aus den verschiedenen Ankunftszeiten der Quasarsignale an den Teleskopen ergibt.

Da sich die Teleskope auf der Erde mitdrehen und somit deren Schwankungen mitmachen, kann aus den Messungen zu den himmelsfesten Quasaren auch die Erdrotation abgeleitet werden. Genau diese wird aber benötigt, wenn die Satellitenbahnen der Navigationssatelliten im erdfernen "Himmelssystem" auf die Kartenposition im erdfesten Koordinationssystem umgerechnet werden müssen. Somit nutzen viele die Ergebnisse aus den Messungen der großen Antennen in Wettzell, damit die nette Stimme aus dem Navi auch weiter zielgenau den Weg weisen kann.