Wie schnell fällt ein Atom?
Erdschweremessung mit Quantengravimetern
Die Schwerkraft, die alle Masse nach unten zieht, ist auf der Erde nicht überall gleich. Ob man am Pol oder am Äquator steht macht schon ein halbes Prozent aus. Dichteunterschiede im Erdinnern, die zur Aufspürung von Lagerstätten genutzt werden, betragen etwa ein Millionstel. Die zeitlichen Änderungen der Schwerkraft, die z.B. durch Wasser im Untergrund oder menschliche Eingriffe verursacht werden, bewegen sich in der Größenordnung von einem Milliardstel. Für die Messung solcher Variationen der Schwerkraft, oder genauer der Erd- oder Fallbeschleunigung, werden Gravimeter eingesetzt. Ob kleine, flexible Federgravimeter, hochpräzise supraleitende Gravimeter oder driftfreie Absolutgravimeter - jedes hat seine Stärken und Schwächen. Ein völlig neuartiger Ansatz, der Quanteneffekte in Atomen ausnutzt, verspricht nun, die Vorteile der verschiedenen Gravimeter in einem Gerät zu vereinen. Über die Funktionsweise und Entwicklung solcher Instrumente und die derzeit am Observatorium Wettzell laufende Vergleichsmessung berichtete am Donnerstag abend Dr. Vladimir Schkolnik von der Humboldt-Universität Berlin in einem Vortrag des Fördervereins GIZ in Wettzell.
Die Berliner Physiker, die seit mehr als 10 Jahren an der Entwicklung eines Quantengravimeters arbeiten, testen ihr Instrument GAIN (Gravimetric Atom Interferometer) nach 2013 nunmehr zum zweiten Mal in Wettzell. In dem Instrument wird eine Testmasse, bestehend aus einem Wölkchen von nur ein paar Millionen Atomen, auf den absoluten Nullpunkt von -273,15 °C heruntergekühlt. Die Atome weisen dann nur noch eine äußerst geringe Eigenbewegung auf und lassen sich mit gezielten Laserpulsen manipulieren. Auf diese Art werden die Atome vertikal nach oben "geschossen" und landen nach etwa 1,5 Sekunden Zeit wieder am Ausgangspunkt.
Das Messprinzip selbst beruht auf dem Dualismus von Teilchen und Wellen: Sowohl Licht als auch Atome können sich je nach Experiment als Teilchen (Photonen, Atome) oder als Welle (Lichtwelle, Materiewelle) verhalten. Dadurch ist es möglich, Atome wie jede Welle einer Interferenz zu unterziehen, d.h. bei Überlagerung bilden sich "Wellenknoten" und "Wellenbäuche" aus. Mit entsprechend abgestimmten Laserpulsen kann man nun z.B. die Hälfte einer Atomwolke aus Rubidiumatomen in einen energetisch anderen Zustand versetzen, so dass beide Populationen unterschiedliche Pfade nehmen. Werden die Populationen wieder durch Laserpulse rekombiniert, entsteht ein Interferenzmuster, aus dem man die Phase, also den Abstand zwischen zwei Wellenbergen, herleiten kann. Aus dieser Information wird die Fallbeschleunigung "g" berechnet. Der große Vorteil dieses Verfahrens ist, dass zum einen Atome perfekte weil immer gleiche Testmassen darstellen, zum anderen die Lichtwellenlänge, die auf der Präzision von Atomuhren beruht, als Maßstab verwendet wird.
Mit den über mehrere Wochen andauernden Testmessungen in Wettzell und dem schwedischen Observatorium Onsala haben die Berliner Physiker auch einen Weltrekord aufgestellt. Neben der gegenüber klassischen Absolutgravimetern deutlich geringerem Rauschen erreicht auch die Langzeitstabilität einen bislang unerreichten Wert. Im internationalen Vergleich sind die Berliner Physiker ganz vorne mit dabei: Neben der Uni Berlin beschäftigen sich nur noch die Universität Hannover, das Observatorium in Paris und eine US-amerikanische Forschergruppe mit der Entwicklung solcher Instrumente.
Dr. Schkolnik meint, dass man sich mit dieser Technologie erst am Anfang befindet, vergleichbar mit den ersten Atomuhren in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Seitdem konnte in den 60 Jahren Weiterentwicklung nicht nur die Genauigkeit um 8 Größenordnungen (100 Millionen-fach) gesteigert werden, auch die Baugröße hat sich drastisch reduziert, so dass in Zukunft tragbare Quantengravimeter mit bislang unerreichter Genauigkeit Realität werden können.